Gespräch mit Tamara Labas

Tamara Labas ist eine deutsche Dichterin und Leiterin der kreativen Schreibwerkstätten. Sie wurde in Zagreb geboren und ist in Frankfurt am Main aufgewachsen, wo sie auch heute noch lebt. An der Johann-Wolfgang-Goethe Universität in Frankfurt absolvierte sie das Studium der Germanistik und Kunstgeschichte. Sie ist an verschiedenen künstlerischen und sozialtherapeutischen Projekten beteiligt, die sich mit der Thematik Migration und Flüchtlinge befassen. Das historische Museum Frankfurt eröffnete 2019 die Ausstellung „Kein Leben von der Stange. Geschichten von Migration, Arbeit und Familie“ und Tamara Labas gehörte zum Beratungsteam und war auch als Autorin an dem Projekt beteiligt. Ein weiteres Projekt, an dem sie aktiv beteiligt ist, sind Lesungen in Justizvollzugsanstalten. Ihre Werke sind in verschiedenen Anthologien vertreten; sie veröffentlichte die Gedichtbände „zwölf“ (2017.) und „durst der krieger“ (2021.).

 

Tamara, herzlich willkommen in Pazin. Wie fühlst du dich in unserer kleinen Stadt, weit weg vom Stress und Gedränge der Großstadt?

Liebe Iva, vielen Dank für den freundlichen Empfang! Ich fühle mich wunderbar in dieser kleinen Stadt. Obwohl ich wegen der Pandemie und des ersten und zweiten Lockdowns auch in Frankfurt eine größere Ruhe als sonst hatte, ist dieser kleine Ort mit seiner Natur genau das Richtige für mich. Der Blick aus der Wohnung im Schriftstellerhaus in die Schlucht von Pazin ist fantastisch.

 

2019 hast du dich für das Aufenthaltsstipendium im Schriftstellerhaus für das Jahr 2020 beworben. Die Pandemie hat diese Pläne durcheinandergebracht. Wie hat sich diese komplette Situation auf deine literarische Arbeit und deine Projekte ausgewirkt?

Die Pandemie hat bei mir ebenfalls vieles durcheinandergewirbelt. Mein aktueller Lyrikband „durst der krieger“, der schon für Dezember 2019 fertig war, ist erst im Januar 2021 erschienen. Ich hatte nur wenige Lesungen in diesem Jahr. Bis auf das Projekt im Gefängnis, konnte ich jedoch alle anderen Projekte durchführen. Zum Teil in Präsenz, zum Teil virtuell. Ich bekam von der Hessischen Kulturstiftung Arbeitsstipendien, die es mir ermöglichten, sogar neue Projekte zu realisieren. In diesem Jahr habe ich gemeinsam mit dem Theaterwissenschaftler Gaetano Biccari ein Drama geschrieben, das wir in Kooperation mit dem Kellertheater Frankfurt im Jahr 2022 mit jungen Darsteller*innen inszenieren werden. Dazu habe ich an einem Erinnerungstagebuch für die kommende Ausstellung des Stadtlabors im Historischen Museum Frankfurt „Spuren des NS im Heute“ geschrieben und entdeckt, wie der NS sich auf mein Leben ausgewirkt hat. Im Grunde habe ich viel gearbeitet.

 

Du warst und/oder bist aktiv an den Projekten zum Thema Migration, Flüchtlinge, sog. Kofferkinder bzw. Gastarbeiterkinder, die wie Koffer hin und her geschickt wurden, Gastarbeiter, Lesungen in Justizvollzugsanstalten beteiligt. Kannst du uns etwas mehr darüber sagen?

Mir ist es sehr wichtig, dafür zu sensibilisieren, was Migration für Kinder und Jugendliche bedeuten kann. Erwachsene treffen ihre Entscheidung für eine Migration selbst – auch wenn sie aus wirtschaftlicher Not oder gar Krieg ihre Heimat verlassen. Kinder entscheiden nicht selbst. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Hinzu kommt, dass für Kinder die vertraute Umgebung zu verlieren, besonders beängstigend ist. Kinder erleben Migration als ein sehr einschneidendes Ereignis. Das ist wichtig zu wissen, damit Kindern Hilfestellungen geboten werden können, vor allem wenn die Werte der eigenen Familie sich deutlich von den Werten der neuen Gesellschaft unterscheiden. Die Kinder und Jugendlichen sind zerrissen zwischen den Kulturen. Durch meine Schreibwerkstätten an Schulen und anderen Projekten habe ich vielfältige Einblicke in diese Thematik bekommen. Nicht zuletzt bin ich selbst von der Migrationserfahrung als Kind betroffen. Ich bin ein ehemaliges „Gastarbeiter- und Kofferkind“. Und ich stelle fest, dass heutzutage Kinder vergleichbare Erfahrungen machen, wie ich sie einst machte. Als Autorin der „Bibliothek der Generationen“ im Historischen Museum Frankfurt setze ich mich am Beispiel des „Gastarbeiter- und Kofferkindes“ mit dem Thema Kindheit und Familie im Wandel der Migration künstlerisch auseinander. Mit meinem Projekt möchte ich in das kollektive Bewusstsein der deutschen Gesellschaft die Erfahrungen von „Gastarbeiter- und Kofferkindern“ tragen. Erfahrungen, die zum Teil durchaus traumatisch waren – wie man in den Interviews nachlesen kann, die ich mit Betroffenen geführt habe. Für meine Herzens-Mission habe ich mein Teddybär, der mich seit meinem sechsten Lebensmonat begleitet hat, dem Historischen Museum geschenkt und er ist in die Sammlung des Museums übergegangen. Der Teddybär war bereits ein Teil meiner künstlerischen Erinnerungsinstallation „Wurzelkoffergeschichten“ in der Ausstellung „Kein Leben von der Stange. Geschichten von Arbeit, Migration und Familie“ des Historischen Museums Frankfurt. Nun wird er in der kommenden Ausstellung „Arbeit & Migration: Geschichten von hier“ im Technoseum Mannheim auf die Geschichte des „Gastarbeiter- und Kofferkindes“ aufmerksam machen. Die Geschichte der Gastarbeiter ist nicht nur ein deutsches Thema, es betrifft auch die Anwerbeländer selbst wie z.B. Kroatien. Deshalb ist es mir wichtig, dieses Projekt besonders hervorzuheben. Die Gastarbeiter-Situation hat tiefe Spuren in den Familien und damit auch in der Gesellschaft hinterlassen und entfaltet ihre Wirkung. Deswegen ist es ein Plädoyer für eine Aufarbeitung der Gastarbeitergeschichte auf der psychologischen Ebene.

Meine anderen Projekte sind meistens an Schreibwerkstätten geknüpft, die ich leite und die mir durch verschiedene Kooperationspartner ermöglicht werden. Bisher habe ich mit Schülerinnen und Schülern, Frauen mit Fluchtgeschichte, Studierenden und mit Menschen in Gefängnissen gearbeitet. Die Themen sind die Themen der Teilnehmenden, die ich mit ihnen in einer geschützten Atmosphäre herausarbeite. Mit einigen dieser Gruppen bin ich noch einen Schritt weitergegangen und wir haben die Texte der Öffentlichkeit in Form von einer Inszenierung, Kunstaustellung, eines Filmes, eines Buches oder einer Lesung präsentiert.

 

Du hast das Gedichtband „zwölf“ (2017) und „durst der krieger“ (2021) geschrieben, und deine Lyrik ist in verschiedenen Anthologien vertreten. In deinen Gedichten setzt du dich mit Themen wie Liebe, Krieg, Alltagsthemen auseinander. Bleibst du in deinem literarischen Ausdruck weiterhin der Lyrik treu, und wenn ja, warum?

Wie bereits erwähnt, habe ich gemeinsam mit Gaetano Biccari ein Stück geschrieben, das eine Neuinterpretation des Ikarus-Stoffes ist. An einzelnen Szenen haben wir jeweils eigenständig, an anderen gemeinsam gearbeitet und vor allem haben wir uns sehr viel über das Stück unterhalten und Ideen über die szenische Umsetzung entwickelt. Es war das Gefühl, als würden wir aus einer Hand schreiben. Das war eine sehr schöne Erfahrung. Freude hat mir auch das Schreiben an dem „Erinnerungstagebuch über die Spuren des NS in mir“ bereitet – soweit man von Freude bei diesem Thema sprechen kann. Dennoch merke ich, dass ich durch Lyrik meine Gefühle und Gedanken sehr gerne ausdrücke. Lyrik bietet die größte Freiheit des sprachlichen Ausdruckes und sie ist die künstlerischste Form, wie wir mit Sprache umgehen können. Das liebe ich an Lyrik.

 

Verfolgst du die kroatische literarische Szene und welche Autoren*innen liest du?

Durch die vielen Projekte und mein eigenes Schreiben bleibt mir wenig Zeit zum Lesen und es erscheinen so viele wunderbare Bücher, die darauf warten, gelesen zu werden. Das macht es mir sehr schwer, so up-to-date zu sein, wie ich es gerne wäre. In Bezug auf die kroatische Literatur interessiert mich vor allem, wie und worüber kroatische Gegenwartslyrikerinnen und -lyriker schreiben. Daher habe ich bis jetzt Lyrik von Ana Brnardić, Monika Herceg, Sibila Petlevski und Ivan Herceg gelesen.

 

In deinem Motivationsschreiben hast du angeführt, du würdest dich gerne mit der Thematik „Heimat – in allen Facetten“ auseinanderzusetzen. Pläne ändern sich, und es ist inzwischen viel Zeit seit der Bewerbung um das Stipendium im 2019 vergangen. Arbeitest du noch immer an dem geplanten Projekt? Kannst du uns diesen näher beschreiben, oder hat sich da was verändert?

Tatsächlich hat sich mit der Zeit und wegen der Pandemie einiges verändert und ich habe nicht am ursprünglich geplanten Thema „Heimat – in allen ihren Aspekten“ während des Aufenthaltsstipendiums geschrieben. Dies liegt mitunter auch daran, dass ich mich mittlerweile an diesem Thema gut abgearbeitet habe. Dennoch denke ich, dass dieses Thema immer eines meiner Themen bleiben wird. Somit habe ich mich auch jetzt indirekt mit dem Thema „Heimat“ auseinandergesetzt. Pazin ist mir fremd und vertraut zugleich. Das hat in mir die Frage nach Heimat wieder neu aufgeworfen. Ich denke, dass Menschen mit einer Migrationsgeschichte sich immer wieder die Frage nach Heimat selbst stellen oder sie gestellt bekommen. Meine Erfahrung, die Frage nach Heimat, wird im Laufe des eigenen Lebens immer wieder anders beantwortet. Dies hat mit den sich verändernden Umständen und neuen Erfahrungen und letztendlich der eigenen Entwicklung zu tun. Schließlich denke ich, dass für einen Menschen mit Migrationsgeschichte die Frage nach Heimat eine komplexe Antwort impliziert.

 

Wie fühlst du dich im Schriftstellerhaus? Woran arbeitest du im September in Pazin?

Ich fühle mich im Schriftstellerhaus wohl, weil es mich wenig vom Schreiben und von der Auseinandersetzung mit meinem Schreiben ablenkt. Ich habe mir den Tisch so gestellt, dass ich beim Schreiben auf die Schlucht von Pazin schaue. Das Begleitprogramm vom Schriftstellerhaus ist ausgewogen. Während des internationalen Bilderbuchfestivals habe ich interessante Kulturschaffende kennengelernt und Einblick in die kroatische Literaturszene erhalten. Die Vorträge, Fachgespräche und Lesungen am Abend waren sehr bereichernd.

Ich habe in Pazin mit der Arbeit an einem neuen Lyrikband begonnen.

 

Danke dir für das Gespräch. Ich wünsche dir viel Erfolg in deinem privaten und beruflichen Leben.

Ich habe zu danken! Vielen Dank!